Die unbekannte Mehrheit
Insekten sind uns Menschen zahlenmässig weit überlegen – himmelweit sogar. Trotz ihrer unglaublichen Anzahl, Vielfalt und Bedeutung für eine funktionierende Biodiversität fristen sie in der menschlichen Wahrnehmung aber oft ein Schattendasein. Zeit, dies zu ändern.
Es ist relativ einfach: Insekten sind gegenüber uns Menschen die grosse Mehrheit. Beginnen wir mit ein paar Zahlen:
- Über 1 Million Insektenarten sind bis heute beschrieben.
- Die Wissenschaft geht indes davon aus, dass es bis zu 5 Millionen Arten gibt.
- Auf jeden Menschen weltweit kommen schätzungsweise 200 Millionen Insekten.
Insekten gibt es in diversen Formen und Farben. Sie bevölkern alle Kontinente.
Ein Tier wie von einem anderen Planeten: eine Australische Gespenstschrecke. Foto: Zoo Zürich, Albert Schmidmeister
Gewisse Gemeinsamkeiten haben alle Insekten: Ihr Körper ist dreigeteilt und sie verfügen über kein inneres Skelett. Ein sogenanntes Exoskelett aus Chitin stützt ihren Körper. Insekten haben immer drei Beinpaare – im Unterschied zu Spinnen, Milben, Zecken, Asseln oder Tausendfüssern.
Gross geht nicht
Insekten sind – verglichen etwa mit Säugetieren oder Vögeln – ausnahmslos klein. Sie variieren in ihrer Grösse von 0,14 Millimeter bis 33 Zentimeter. Die meisten Insekten erreichen aber nur weniger als zwei Zentimeter. Dafür gibt es einen guten Grund.
60 Sekunden: Weshalb Insekten klein sind
Video: Zoo Zürich, Sandro Schönbächler, Pascal Marty
Insekten haben keine Lunge. Stattdessen versorgt ein Netz aus Röhren die Organe und Zellen der Tiere mit Sauerstoff. Um die Versorgung sicherzustellen, müssen diese sogenannten Tracheen überproportional zur Körpergrösse wachsen. Dies ist vor allem in den filigranen Beinen nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Deshalb haben Insekten ein natürliches Wachstumslimit.
Gehört unter den Insekten zu den grössten: Stabschrecke. Foto: Zoo Zürich, Rita Schlegel
In Zeiten, in denen die Atmosphäre mehr Sauerstoff enthielt, konnten Insekten noch viel grösser werden. So lebte vor etwa 300 Millionen Jahren eine Libellenart, deren Flügelspannweite bis zu 70 Zentimeter erreichte.
Tarnung und Warnung
Insekten stehen auf dem Speiseplan vieler anderer Tiere. Spinnen etwa fressen jährlich rund 400–800 Mio. Tonnen Insekten. Auch Vögel, Säugetiere, Reptilien, Amphibien und Fische fressen Insekten.
Meister der Tarnung: das Wandelnde Blatt. Selbst braune Stellen imitiert das Insekt. Foto: Zoo Zürich, Edi Day
In Kopfüber-Perspektive verraten die Beine das Wandelnde Blatt. Foto: Zoo Zürich, Edi Day
Ein von Insekten oft verwendeter Trick zum Schutz vor Fressfeinden ist die Tarnung. So sehen einige Insekten täuschend echt aus wie Äste oder Blätter. Nicht nur ihr Aussehen imitiert Pflanzen, die Tiere bewegen sich auch entsprechend, zum Beispiel nur ganz langsam oder ruckartig wie Laub im Wind.
Ebenfalls eine Meisterin der Tarnung: die Stabschrecke. Foto: Zoo Zürich, Edi Day
Zweig oder Tier? Foto: Zoo Zürich, Edi Day
Giftige, wehrhafte Insekten wiederum warnen potenzielle Räuber mit ihren Farben. Beispiele dafür sind etwa Wespen oder Hornissen.
Futter für viele
Insekten sind Nützlinge und Schädlinge (aus Menschensicht) zugleich. Sie bestäuben zwei Drittel der wichtigsten Nutzpflanzen und achtzig Prozent der Wildpflanzen. Sie sind Futter für unzählige Tiere. Und in rund 130 Ländern ernähren sich auch Menschen regelmässig von Insekten.
Endstation als Snack: Ein Pantherchamäleon schnabuliert im Masoala Regenwald eine Heuschrecke. Insekten sind für unzählige Tiere und Menschen eine unentbehrliche Nahrungsquelle. Foto: Zoo Zürich, Enzo Franchini
Hier bei uns im Zoo verfüttern wir pro Jahr etwa zwei Tonnen Insekten an eine Vielzahl Tiere aller Tiergruppen, zum Beispiel an die Chamäleons, Ameisenbären, Tukane oder Totenkopfaffen. Wir verfüttern unter anderem Grillen, Heuschrecken und Fruchtfliegen.
Einige Insektenarten, zum Beispiel Wüstenheuschrecken, sind aber auch immer wieder für grosse Ernteausfälle verantwortlich. In guten Jahren vermehren sie sich sprunghaft; dann können sie in Schwärmen von Millionen von Tieren innert Tagen ganze Ernten vernichten.
In dieser Position immer noch wunderschön, aber nicht mehr so gut getarnt. Foto: Zoo Zürich, Edi Day
Vom Beispiel der Wüstenheuschreckenschwärme abgesehen: Insekten sind sowohl für ein gesundes Ökosystem als auch für unsere eigene Nahrungsversorgung von grösster Wichtigkeit. Umso alarmierender ist es, dass die Tiere massiv bedroht sind.
Fünf vor Zwölf
So zeigt eine in Mitteleuropa durchgeführte Studie einen Rückgang der Fluginsekten um über 75 Prozent in den letzten knapp 30 Jahren. In der Schweiz sind fast 60 Prozent aller untersuchten Insektenarten bedroht. Weltweit nimmt die Biodiversität der Insekten besorgniserregend ab.
Die Gründe dafür sind Lebensraumverlust, Pestizide, Krankheiten, eingeschleppte Arten und der Klimawandel. In den nächsten Jahrzehnten könnten deswegen 40 Prozent aller Insekten aussterben. Das müssen wir verhindern.
Die Stiftung Fledermausschutz, Naturschutzpartnerin des Zoo Zürich, unterstützt beispielsweise die Biodiversität von Insekten als Nahrungsgrundlage der Fledermäuse.
Ein Tier zum Staunen: das Wandelnde Blatt. Foto: Zoo Zürich, Rita Schlegel
Dass man um diese Jahreszeit in unseren Breitengraden immer weniger Insekten sieht, hat aber nicht nur mit der Bedrohung der Tiere zu tun, sondern auch mit der Saison und den Überwinterungsstrategien der Insekten.
Wie Insekten der Kälte trotzen
Insekten sind wechselwarme Tiere. Deshalb sind sie in der kalten Jahreszeit inaktiv. Sie verkriechen sich zum Beispiel im Bodengrund, unter Baumrinden, in Laubhaufen, Scheunen oder Dachböden. Dort verfallen sie bis zum Frühling in eine Kältestarre.
Einige Insekten entwickeln sogar eine Art Frostschutz, der sie vor dem Einfrieren schützt. Andere, wie etwa Bienen, halten sich gegenseitig warm. Bei gewissen Arten wie den Hornissen überleben nur die Königinnen den Winter. Sie legen im Frühling dann ihre Eier.
Einige Falter schliesslich, zum Beispiel der Admiral, entgehen der Kälte, indem sie in den Süden ziehen.
Bonus: Lebenserwartung eines Wandelnden Blattes
Video: Zoo Zürich, Sandro Schönbächler, Pascal Marty