Spinnen: Hui statt Pfui!
Spinnen haben bei vielen Menschen einen schweren Stand. Dabei sind uns die achtbeinigen Tiere selten gefährlich. Sie beeindrucken im Gegenteil mit einer riesigen Artenvielfalt und leisten in ihren Ökosystemen eine wichtigen Beitrag zur Schädlingskontrolle.
Im September werden die Tage kürzer und die Nächte kühler. Diesen Jahreszeitenwechsel registrieren auch die Spinnen. Um zu überwintern, suchen sie vermehrt warme und geschützte Orte auf. Diese Orte sind oft auch von Menschen bewohnt; ein häufigeres Aufeinandertreffen beider Lebewesen ist unvermeidbar. Die Freude darüber hält sich meistens in Grenzen – kaum ein anderes Tier ist beim Menschen derart unbeliebt wie die Spinne. Dabei werden uns Spinnen in den seltensten Fällen gefährlich. Sie sind, ganz im Gegenteil, sogar sehr nützlich.
Wir wollen mehr Verständnis für diese falsch verstandene Tierklasse schaffen. Im Insektenwald leben deshalb auch zwei Spinnenarten: Geisselspinne und Madagaskar-Seidenspinne.
Video: Zoo Zürich, Tim Benz
Doppelt verwurzelte Angst
Unsere Abneigung gegen Spinnen ist zum einen evolutionär bedingt. Für den frühen Menschen stellten Gifttiere – dazu zählen auch einige wenige Spinnenarten – eine ernste Bedrohung dar. Angst war also überlebenswichtig.
Auch wenn heutzutage die Wahrscheinlichkeit, einer uns gefährlichen Spinne zu begegnen, eher gering ist, tragen wir diese evolutionären Muster weiterhin in uns. Dazu gehört auch, dass wir die schnellen Bewegungen der Spinnen und ihr für uns oft unerwartetes Auftauchen instinktiv als Bedrohung wahrnehmen.
Zum anderen ist die Angst vor Spinnen kulturell geprägt. Kinder lernen durch das Abschauen und Imitieren von Verhaltensweisen. Wenn Eltern, enge Bezugspersonen oder generell viele Menschen im Umfeld des Kindes mit Entsetzen oder Abneigung auf Spinnen reagieren, dann lernt auch das Kind: Spinne = eklig.
In der Schweiz leben rund 1000 verschiedene Spinnenarten, darunter die prächtige Wespenspinne. Foto: Zoo Zürich, Tim Benz
Verkannter Nützling
Diese Abneigung führt dazu, dass wir Spinnen, ihre faszinierende Lebensweise und ihren Nutzen oft verkennen. Spinnen sind ein wichtiger Regulator für das ökologische Gleichgewicht. Sie vertilgen jährlich mehrere Hundert Millionen Tonnen Insekten, viele davon Schädlinge. Sie beugen damit einer unkontrollierte Vermehrung dieser Tiere vor.
Aber auch für die Forschung sind Spinnen interessant. Spinnenseide zählt zu den stabilsten und tragfähigsten heute bekannten Materialien: Sie ist fünfmal belastbarer als ein Stahlfaden gleicher Dicke. Und wer einer Spinne beim Netzbau zuschaut, kann ob ihrem architektonischem Geschick nur staunen.
Riesige Artenvielfalt
Weltweit gibt es rund 53’000 wissenschaftlich beschriebene Spinnenarten. Zum Vergleich: bei den Säugetieren sind es weniger als 7000 Arten. Trotz dieser x-fach höheren Artenvielfalt der Spinnen können die meisten Menschen spontan deutlich mehr Säugetiere aufzählen als Achtbeiner.
In der Schweiz leben rund 1000 verschiedene Spinnenarten, darunter verschiedene Radnetzspinnen wie die Gartenkreuzspinne oder die Wespenspinne.
Spinnen zählen nicht zu den Insekten, sondern bilden als Spinnentiere eine eigene Klasse innerhalb der Gliederfüsser. Von den Insekten unterscheiden sie sich in vielerlei Hinsicht. Am offensichtlichsten sind die Beine: Spinnen haben acht, Insekten nur sechs.
Filigran: Madagaskar-Seidenspinne. Foto: Zoo Zürich, Tim Benz
Unterschiedliche Jagdtechniken
Bis auf sehr wenige Ausnahmen sind Spinnen Raubtiere. Sie verwenden dabei verschiedene Jagdtechniken.
Radnetzspinnen bauen – wie es der Name verrät – grosse Netze in Form eines Rads. Die Spinne sitzt in der Regel in der Mitte des Netzes und wartet darauf, dass sich ein potenzielles Beutetier in der klebrigen Struktur verfängt. Mit einem Nervengift lähmt sie die gefangene Beute und frisst sie später.
Schimmernde Netze
Diese Form der Jagd wendet auch die bei uns in der Spinnenhöhle im Insektenwald lebende Madagaskar-Seidenspinne (Trichonephila inaurata madagascariensis) an. Ihre Netze können einen Durchmesser von bis zu zwei Metern erreichen. Je nach Lichteinfall weisen sie einen goldgelben Schimmer auf.
Die Madagaskar-Seidenspinne kommt in den Regenwäldern Madagaskars und auf einigen weiteren ostafrikanischen Inseln vor. Die Weibchen erreichen ausgewachsen inklusive Beine etwa die Grösse einer menschlichen Hand. Die Männchen werden nur etwa fünf Zentimeter gross.
Je nach Lichteinfall hat das Netz der Seidenspinne einen goldenen Schimmer. Foto: Zoo Zürich, Tim Benz
Fangarme und Geisseln
Die zweite Art in der Spinnenhöhle ist die Geisselspinne (Damon medius). Auch sie kann ausgewachsen ungefähr die Grösse einer menschlichen Hand erreichen. Sie wendet aber eine gänzlich andere Jagdtechnik an als die netzbauenden Seidenspinnen. Denn Geisselspinnen besitzen keine Spinndrüsen und können somit auch keine Spinnenseide produzieren.
Dafür besitzt die Geisselspinne zwei starke, mit Dornen besetzte Fangarme im Kopfbereich. Ihr abgeflachter Körperbau ist ideal, um sich tagsüber in Spalten und Ritzen zu verstecken. Wird es dunkel, begibt sich die Spinne aktiv auf die Jagd.
Ihr vorderes Beinpaar ist zu Geisseln verlängert. Sie dienen als Tast- und Riechorgane(sog. Fühlerbeine). Ist ein Beutetier entdeckt und in Reichweite, greift die Geisselspinne blitzschnell zu.
Die Geisselspinne verfügt über zwei starke, mit Dornen besetzte Fangarme. Foto: Zoo Zürich, Charles Negre
Anspruchsvolle Zucht
Der Zoo Zürich züchtet beide Spinnenarten im Hintergrundbereich des Insektenwalds. Dafür hält er mehrere Zuchtpaare. Die Zucht ist aufwendig und nur erfolgreich, wenn die Umweltbedingungen perfekt sind.
Geisselspinnen wachsen im Vergleich zu anderen Spinnentieren sehr langsam und erreichen die Geschlechtsreife erst mit etwa zwei Jahren. Auch betreibt die Art eine für Wirbellose eher ungewöhnlich intensive Brutpflege. Das Weibchen trägt zunächst die Eier (30 bis 40 Stück) am Bauch. Später transportiert sie die geschlüpften Jungtiere bis zu deren ersten Häutung auf ihrem Rücken.
Die Zucht von Seiden- und Geisselspinnen klappt nur, wenn die Umweltbedingungen perfekt sind. Foto: Zoo Zürich, Tim Benz
Hui statt pfui
Die Spinnenhöhle ist Teil des Insektenwalds und befindet sich im Herzen des Grosskatzen-Lebensraums Panthera. Dieser Kontrast ist bewusst gewählt: Er zeigt eindrücklich die Vielfalt des Lebens. Denn nicht nur Löwe, Tiger und Schneeleopard sind faszinierend – auch Insekten und Spinnen sind es.