Eröffnung Forschungsstation: Mehr Wissen für erfolgreichen Artenschutz!
Wie lassen sich Pfeilgiftfrösche erfolgreich züchten? Und stimmt es, dass beim Goldenen Pfeilgiftfrosch nur das Männchen die Brutpflege übernimmt? Die wichtigste Ressource für erfolgreichen Natur- und Artenschutz ist Wissen. Aktuell ist der Zoo Zürich an über 70 Forschungskollaborationen beteiligt. Die neue Forschungsstation gewährt Einblick in einen Teil dieser wissenschaftlichen Arbeit des Zoos und zeigt auf, wie Wissen für den Erhalt der Artenvielfalt generiert wird. Sie ist ein weiterer wichtiger Meilenstein aus dem Entwicklungsplan 2050 auf dem Weg zum Zoo der Zukunft.
Forschung im Zoo wird sichtbar
Oberhalb des Aquariums und neben dem Terrarium befindet sich die neue Forschungsstation des Zoos. Forschung und Zucht, die früher mehrheitlich im Hintergrund stattfanden, werden für unsere grossen und kleinen Gäste nun erstmals sichtbar und erlebbar. Dabei verfolgt der Zoo ein konkretes Ziel: Wir forschen, um Tierarten zu schützen, Natur zu erhalten und Wissen zu vertiefen – im Zoo und bei unseren Gästen.
Optimale Bedingungen
Sechs Forschungsräume lassen Einblicke und Erkenntnisse zu, wie sie so bislang im Zoo nicht möglich waren. Einige dieser Räume funktionieren wie Klimakammern: Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtverhältnisse sind exakt kontrolliert und dokumentiert. Die Natur wird 1:1 simuliert, was optimale Zuchtbedingungen ermöglicht. Hochbedrohten Echsen, Fröschen, Insekten und Fischen kann beim Balz- und Brutverhalten direkt zugeschaut werden.
Mitforschen erwünscht
Auf Screens erfahren unsere Gäste, welche Forschungsfragen uns jeweils beschäftigen, wie und in Kollaboration mit welchen renommierten Forschungsinstituten diese erforscht werden und warum das wichtig ist. Jeder Forschungsraum bietet zudem ein interaktives Modul, das insbesondere unsere kleinen Gäste dazu einlädt, selbst zu forschen und zu entdecken.
Fokus auf gefährdete Arten
Gegenüber der sechs Forschungsräume sind über zwei Ebenen drei neue Lebensräume entstanden. Dort sind bedrohte Krallenaffenarten eingezogen. Sie werden später auch in der Pantanal Voliere zu sehen sein. Und die grosszügige Freiflugvoliere im Eingangsbereich der neuen Forschungsstation ist das Zuhause von sieben teils stark bedrohten Vogelarten und der vom Aussterben bedrohten Chinesischen Streifenschildkröte.
Forschungsraum 1
Forschungsfrage: Welches Klima fördert das Paarungsverhalten madagassischer Amphibien und Reptilien?
- Blaubeiniges Buntfröschchen (Mantella expectata EN)
- Schmuck-Taggecko (Phelsuma inexpectata CR)
- Madagaskar-Schönkopfgecko (Paroedura lohatsara CR)
- Mayotte-Madagaskar-Frosch (Blommersia transmarina NT)
Forschungsraum 2
Forschungsfrage: Wie betreiben Pfeilgiftfrösche ihre Brutpflege?
- Goldener Pfeilgiftfrosch (Phyllobates terribilis EN)
- Zweifarbiger Pfeilgiftfrosch (Phyllobates bicolor EN)
- Anchicayá-Baumsteiger (Oophaga anchicayensis EN)
- Harlekin-Baumsteiger (Oophaga histrionica CR)
Forschungsraum 3
Forschungsfrage: Welches technische Knowhow rettet den Tafelberg-Baumsteiger?
- Tafelberg-Baumsteiger (Minyobates steyermarki CR)
- Rio-Pescado-Stummelfusskröte (Atelopus balios CR)
Forschungsraum 4
Forschungsfrage: Wie passt sich der Blattschneiderameisenstaat seiner Umwelt an?
- Blattschneiderameise (Atta cephalotes NE)
Forschungsraum 5
Forschungsfrage: Was ist die Biologie der Türkisblauen Riesenstabschrecke?
- Türkisblaue Riesenstabschrecke (Achrioptera manga NE)
- Riesen-Tausendfüsser (Sechelleptus sp. nov. NE)
Forschungsraum 6
Forschungsfrage: Wie erhalten wir vom Aussterben bedrohte madagassische Süsswasserfische wie den Mangarahara-Buntbarsch?
- Mangarahara-Buntbarsch (Ptychochromis insolitus CR)
- Marakeli-Buntbarsch (Paratilapia polleni VU)
- Menarambo-Buntbarsch (Paretroplus menarambo CR)
- Madagaskar-Ährenfisch (Bedotia madagascariensis EN)
- Varatraza Madagaskar-Hechtling (Pachypanchax varatraza EN)
- Sakaramy-Hechtling (Pachypanchax sakaramyi EN)
Krallenaffen-Anlage
- Goldgelbes-Löwenäffchen (Leontopithecus rosalia EN)
- Lisztaffe (Saguinus oedipus CR)
- Springtamarin (Callimico goeldii VU)
Freiflugvoliere
- Kubataube (Starnoenas cyanocephala EN)
- Jamaika-Erdtaube (Geotrygon versicolor NT)
- Montserrat-Trupial (Icterus oberi VU)
- Kapuzenzeisig (Spinus cucullatus EN)
- Grünkardinal/Grüntangare (Gubernatrix cristata EN)
- Schwalbensittich (Lathamus discolor CR)
- Purpurtangare (Ramphocelus bresilius LC)
- Chinesische Streifenschildkröte (Mauremys sinensis CR)
Systematik der Roten Liste der gefährdeten Tierarten
Mehr Informationen unter: Rote Liste IUCN |
Vorsichtig kämpft sich der kleine gelbe Frosch durchs tropische Unterholz. Er sucht eine Pfütze. Aber nicht irgendeine. Sie darf nicht zu klein sein und vor allem darf sie nicht austrocknen. Denn auf seinem Rücken transportiert er wertvolle Fracht: mehrere winzige Kaulquappen. Es ist sein eigener Nachwuchs, den er derart fürsorglich betreut. Zuvor hatte das Froschmännchen bereits ausgeharrt und auf den Schlupf der Kaulquappen gewartet. Nun ist es an ihm, jedes Jungtier an einen geeigneten, dauerhaft mit Wasser gefüllten Ort zu bringen, wo der Nachwuchs die Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch durchlaufen kann.
Froschweibchen als Notfallreserve?
Für eine Amphibienart ist die elterliche Fürsorge beim Goldenen Pfeilgiftfrosch ungewöhnlich stark ausgeprägt. Und die meiste Arbeit hat hier offensichtlich der Vater. Nur warum ist das so? Welche Bedingungen sind nötig, damit diese Form von Aufzucht stattfindet? Und was passiert, wenn das Männchen fehlt? Springt dann die Mutter ein?
Tatsächlich gibt es einzelne Beobachtungen, die vermuten lassen, dass auch das Froschweibchen die Kaulquappen transportiert, wenn dies notwendig wird. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es beim Goldenen Pfeilgiftfrosch bisher nicht. Ein ähnliches Verhalten wurde nur bei wenigen anderen Pfeilgiftfroscharten untersucht. Neue Erkenntnisse soll künftig die Forschungsstation im Zoo Zürich liefern. In Forschungsraum 2 wird sich der Zoo Zürich in Kollaboration mit der Verhaltensbiologin Prof. Dr. Eva Ringler der Universität Bern unter anderem genau dieser Fragestellung widmen.
Die Natur simuliert
Damit aus Vermutungen und Beobachtungen wissenschaftlich basierte Fakten werden, braucht es eine exakt kontrollierbare Forschungsumgebung. Die sechs Räume der Forschungsstation funktionieren daher wie Klimakammern. So kann beispielsweise der Jahresverlauf eines Habitats klimatisch präzise simuliert werden. Möglich macht es eine Hightech-Anlage im Hintergrund der Station. Jede einzelne Einstellung ist dabei immer exakt nachvollziehbar und dokumentiert.
Die Natur wird also kontrolliert 1:1 simuliert. Es kann davon ausgegangen werden, dass Tiere, die sich in einer solchen Umgebung bewegen, genauso verhalten wie sie es auch in der Natur tun würden. Wird nun das Pfeilgiftfrosch-Männchen entnommen, ist sichergestellt, dass das gezeigte Verhalten des Weibchens einzig und allein eine Folge dieser Aktion ist.
Wissen beruht auf Fakten
Alle anderen Faktoren, die die Reaktion des Weibchens beeinflussen könnten, sind kontrolliert und entsprechen den Bedingungen in der Natur. So lässt sich das Brutpflegeverhalten der Art genau beobachten und erforschen. Um die Beobachtung einer zufälligen Reaktion des Weibchens auszuschliessen, wird die Beobachtungsstudie an zahlreichen weiteren Froschpaaren wiederholt. Die Stichprobe ist also gross genug, um belastbare, wissenschaftlich fundierte Daten zu liefern.
Relevant ist das beispielsweise auch bei der Erforschung des vom Aussterben bedrohten Tafelberg-Baumsteigers. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist aufgrund von Lebensraumverlust extrem klein und geprägt von starken klimatischen Schwankungen. Die Zucht dieser Frosch-Art ist äusserst komplex und schon wenig reicht aus, dass diese nicht mehr gelingt.
Zucht als Schlüssel zum Erfolg
Für eine erfolgreiche Vermehrung der Frösche, braucht es einen exakten Tag-Nacht-Rhythmus mit einem Temperatursturz von 5 bis 10 Grad Celsius während der Nacht, eine deutliche Schwankung der Luftfeuchtigkeit und ausreichend UV-Licht. Alles Parameter, die auch den natürlichen Lebensraum des Tieres, einen Tafelberg im Amazonasbecken Venezuelas, stark prägen. Fehlen diese, kommt der Frosch nicht in Laichstimmung. Auch wenn schon einiges bekannt ist, so ist der Idealzustand für eine erfolgreiche Zucht noch nicht wissenschaftlich evaluiert.
Eine erfolgreiche Zucht aber ist der Schlüssel zu erfolgreichem Artenschutz. Denn genau darin besteht eine weitere Hauptaufgabe von Zoos: Sie erhalten Reservepopulationen gefährdeter Arten und nehmen so eine tragende Rolle im sogenannten One Plan Approach der Weltnaturschutzunion IUCN ein. Dieser beschreibt Artenschutz als eine gesamtheitliche Aufgabe, die gemeinschaftlich durch die Zusammenarbeit aller am Schutz einer Art mitwirkenden Institutionen und Personen bewältigt wird. Das schliesst nicht nur Zoos, sondern auch Schutzgebiete wie zum Beispiel Nationalparks mit ein.
One Plan Approach bringt alles zusammen
Dieser Ansatz lässt sich gut am Lehmanns Baumsteiger erklären. Auch diese vom Aussterben bedrohte, mancherorts bereits ausgerottete Pfeilgiftfroschart wird in die Forschungsstation einziehen. Im Rahmen des Naturschutzprojekts Amphibian Survival des Zoo Zürich in Kolumbien konnten bis heute bereits 117 Lehmanns Baumsteiger ausgewildert werden.
Möglich, weil der Zoo die Zucht der Art im Zoo Cali unterstützt und in engem Austausch mit den Expert*innen vor Ort steht. Möglich, weil der Zoo den Erhalt des Lebensraums des Frosches mithilft zu sichern. Und künftig zudem möglich, weil der Zoo die Erforschung der idealen Zuchtbedingungen der Art weiter optimieren und dokumentieren wird. Andere Zoos sowie Privatpersonen können das gesammelte Wissen nutzen und sich ebenfalls an der Reservepopulation beteiligen. Und der Zoo Cali kann die Frösche besser und effektiver züchten und so noch mehr Tiere im Regenwald Kolumbiens wiederansiedeln.
Tierarten schützen, Natur erhalten, Wissen vertiefen
Die Forschungsstation gibt nun erstmals Einblick in all diese Tätigkeiten und vereint die vier Hauptaufgaben eines modernen Zoos – Artenschutz, Naturschutz, Forschung und Bildung – an einem Ort. Erforscht werden aber nicht nur Frösche, sondern auch Ameisen, Fische und Wirbellose. Gerade bei diesen Tierarten gibt es noch sehr viele Wissenslücken.
Der Besatz der Forschungsräume ist daher auch nicht abschliessend. Es kommen neue Arten hinzu, die Fragenstellungen werden sich ändern und auch die Kollaborationen mit renommierten Forschungsinstitutionen wie der Universität Zürich, der ETH Zürich, der Vetsuisse und vielen mehr wechseln. Der Zoo verfolgt dabei jedoch immer ein konkretes Ziel: Wir forschen, um Tierarten zu schützen, Natur zu erhalten und Wissen zu vertiefen – im Zoo und bei unseren Gästen. Und mit etwas Glück wird in ein paar Jahren dann eindeutig geklärt sein, ob die Jungenaufzucht beim Goldenen Pfeilgiftfrosch vielleicht doch nicht nur reine Männersache ist.
VIDEOS
Das Video ist unter Quellenangabe zur redaktionellen Berichterstattung über den Zoo Zürich freigegeben.
VIDEO MIT UNTERTITELN
Video: Zoo Zürich, Samer Angelone, Nicole Schnyder
VIDEO OHNE UT (ROH)
Video: Zoo Zürich, Samer Angelone, Nicole Schnyder
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