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  • Baumkronen-Weg im Masoala Regenwald im April 2020.
    Baumkronen-Weg im Masoala Regenwald im Juni 2018.

    Der beste Platz im Zoo

    Zoodirektor Severin Dressen über seinen Lieblingsplatz im Zoo.

    «Herr Dressen, welches ist Ihr Lieblingstier?» Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Ein Lieblingstier habe ich ehrlich gesagt nicht – einen Lieblingsplatz im Zoo dagegen schon: im Masoala Regenwald auf dem Turm des Baumkronen-Wegs, der noch immer fast alle Baumwipfel überragt und einen wunderschönen Panoramablick ermöglicht.

    Die beste Zeit ist am frühen Morgen oder in der Abenddämmerung. Dann ist man fast allein und bei den Tieren ist ganz schön viel los. Die Roten Varis springen von Ast zu Ast und markieren lautstark ihre Präsenz. Zahlreiche Vögel und Flughunde werden wach (oder gehen schlafen) und füllen den Luftraum über den Baumwipfeln mit Leben.

    Baumkronen-Weg im Masoala Regenwald im April 2020.

    Blick vom Turm des Baumkronen-Wegs im Masoala Regenwald. Foto: Zoo Zürich, Marco Schaffner

    Nicht nur ich geniesse den Masoala Regenwald – auch viele unserer Gäste finden es hier richtig gut. So zählt er zu den beliebtesten Lebensräumen in unserem Zoo. Auch die Medien berichten immer wieder aus unserem Regenwald. Allein in den letzten Wochen hatte Masoala einen prominenten Platz in einer Wissenschaftssendung auf RAI und CH Media war für Filmaufnahmen vor Ort.

    Doch was macht den Masoala Regenwald so spannend? Für mich persönlich ist er das perfekte Beispiel dafür, wie ein Zoo gleichzeitig seinen vier ideellen Zielen gerecht werden kann: Artenschutz, Bildung, Forschung und Naturschutz.

    Der Artenschutz für Tierarten aus Madagaskar ist dringlich, die Situation vor Ort schwierig.

    Die madagassischen Wälder sind zu über 90 Prozent abgeholzt, viele Tierarten vom Aussterben bedroht.

    Baumkronen-Weg im Masoala Regenwald im Juni 2018.

    Ob es auch die Aussicht geniesst? Pantherchamäleon auf dem Turm des Baumkronen-Wegs. Foto: Zoo Zürich, Enzo Franchini

    Das trifft auch auf viele der Arten in unserem Masoala Regenwald zu. Deshalb haben die europäischen Erhaltungszuchten für madagassische Tiere, an denen sich der Zoo Zürich beteiligt, eine grosse Bedeutung. Und wir wollen versuchen, künftig noch mehr bedrohte madagassische Vogelarten bei uns aufzunehmen.

    In der Bildungsarbeit versuchen wir, unsere Gäste für die Schönheit des Masoala Regenwalds und seinen tierischen Bewohner zu begeistern. Wir entführen unsere Gäste mitten in den Lebensraum, wo man ihn mit allen Sinnen erfahren kann. Man steht im Wald, sieht, riecht, fühlt und hört ihn. Man hat das Gefühl, dass sich der echte Masoala Regenwald genau so anfühlt. Wenn es uns gelingt, mit dieser Begeisterung auf das Schützenwerte des Regenwaldes aufmerksam zu machen, dann haben wir in unserer Bildungsarbeit viel erreicht.

    Gleichzeitig ist unser Masoala Regenwald ein idealer Ort für Forschungsarbeiten. So können wir unser Verständnis des Waldes und seiner Bewohner verbessern. Der Goodman-Mausmaki beispielsweise (eine Affenart) wurden erst bei uns als eigenständige Art beschrieben. Und viele der Erkenntnisse über diese kleinen Affen stammen nicht aus Madagaskar, sondern vom Zürichberg. Die Entschlüsselung des Genoms der Aldabra-Riesenschildkröten hilft dem Schutz der Tiere vor Ort. Und die ETH testet Drohnen bei uns im Regenwald, um später in tropischen Wäldern DNA-Proben zu sammeln. Dies eine kleine Auswahl der Projekte, die bei uns im Zoo stattfinden.

    Nicht zuletzt ist unser Regenwald wie kein anderer Ort im Zoo mit unserem Naturschutzengagement verknüpft. Seit Jahrzehnten sind wir auf der Masoala-Halbinsel im Nationalpark und darüber hinaus aktiv. Wir finanzieren 25 Prozent des Nationalpark-Budgets. Neben Forschungsarbeiten zur Artenvielfalt unterstützen wir insbesondere auch langfristige und grossflächige Aufforstungsbemühungen. Über 100'000 endemische Bäume werden pro Jahr gepflanzt, um der Entwaldung entgegenzuwirken.

    Naturschutz funktioniert immer nur, wenn Menschen den Mehrwert davon sehen. Deshalb finanzieren wir Projekte im Bildungsbereich und in der Landwirtschaft, um die Lebenssituation der lokalen Bevölkerung Masoalas zu verbessern. In diesen Wochen findet mit meinem Vorgänger Alex Rübel eine vom Zoo mitorganisierte Reise nach Masoala statt, die nicht nur unser Naturschutzengagement unterstützt, sondern gleichzeitig auch den Reiseteilnehmer*innen die Schutzbedürftigkeit dieser Region aufzeigt.

    Wem die Reise nach Madagaskar zu lang ist, dem*der reicht hoffentlich auch unser Masoala Regenwald. Er steht sinnbildlich für die Aufgaben moderner Zoos – und bietet, wie gesagt, vom Turm einen phänomenalen Blick.

    Zoodirektor Severin Dressen 2020 im Masoala Regenwald des Zoo Zürich.

    Zoodirektor Severin Dressen.

    Nebenstehender Text erschien erstmals im Rahmen der «Zoologisch»-Kolumne Severin Dressens im «SonntagsBlick-Magazin».