Direkt zum Inhalt
  • Koala Tarni im neubepflanzten Australienhaus des Zoo Zürich.

    Neue Bäume statt alte Zöpfe

    Zoodirektor Severin Dressen über tote und lebende Bäume, worauf Koalas lieber sitzen und was das für unsere Haltung der Tiere im Australienhaus bedeutet.

    Was man «schon immer so gemacht hat», ist nicht grundsätzlich schlecht. Häufig sogar richtig gut. Nehmen wir das Familienrezept für Plätzchen, das meine Familie seit vier Generationen unverändert nutzt: Auch wenn es angesichts der grossen Mengen an Butter, Eiern und vor allem Zucker ernährungstechnisch sicher nicht mehr zum Zeitgeist passt, ist eine Änderung der Rezeptur ausgeschlossen. Ausgeschlossen!

    In anderen Fällen tut man allerdings gut daran, das, «was man schon immer so gemacht hat», auch mal zu hinterfragen. Vielleicht geht es auch noch besser? Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Koala-Haltung im Australienhaus.

    Seit Jahrzehnten folgt die Koala-Haltung in Zoos dem gleichen Muster: Man hält die Tiere auf Totholzbäumen, auf gefällten Bäumen also. Die Koalas sitzen dann gerne in den Astgabeln dieser Totholzbäume – genauso, wie sie es wildlebend in Australien in den lebenden Eukalyptusbäumen tun – und schlafen dort bis zu zwanzig Stunden am Tag. Seinen Baum wechselt der Koala nur, wenn das Futter knapp oder ungeniessbar ist, oder wenn ein attraktiver Koala des anderen Geschlechts im Baum gegenübersitzt.

    Die bisherige Praxis mit den Totholzbäumen sorgte gleichzeitig für eine gut einsehbare Haltung, was die Überwachung dieser heiklen Pfleglinge vereinfachte. Gewichte der Tiere, Kotmengen und Menge gefressener Blätter lassen sich in der traditionellen Art der Koala-Haltung gut kontrollieren.

    Aus all diesen Gründen bestand für uns im Zoo Zürich kein Anlass, das Konzept zu ändern, als wir vor einigen Jahren zum Schutz dieser bedrohten Tierart mit der Koala-Haltung begannen. Allerdings stellten wir unseren Koalas von Anfang an Aussenanlagen zur Verfügung, auf denen sie sowohl Totholzbäume als auch lebende Bäume zur Auswahl hatten.

    Wir stellten fest: Wann immer unsere Koalas auf den Aussenanlagen waren, sassen sie zwar auch auf den toten Bäumen, sie bevorzugten aber klar die lebenden Exemplare.

    Also entschlossen wir uns, den Koalas auch in der Innenanlage einen solchen Baum-Mix zur Verfügung zu stellen. Was die Koalas im Sommer draussen mochten, sollen sie das ganze Jahr über auch drinnen zur Verfügung haben.

    In den letzten Monaten setzten wir deshalb im Australienhaus 1200 Pflanzen, darunter viele Bäume – auch Eukalyptusbäume. Die «normale» Koala-Innenanlage verwandelte sich in einen australischen Wald.

    Bei der Auswahl der Eukalyptusbäume versuchten wir, möglichst jene Arten zu wählen, die die Koalas nicht gerne fressen. Weil die Geschmäcker aber von Tier zu Tier variieren, kann es trotzdem passieren, dass die Koalas unsere Bäume nach und nach abfressen werden. Sollte dies der Fall sein, können wir stark abgenagte Bäume beim Landschaftsgärtner, der uns den Futtereukalyptus zur Verfügung stellt, «zur Kur» schicken, damit sie sich wieder erholen können.

    Seit knapp zwei Wochen sind Maisy, Uki und Tarni nun in ihrem neuen Wald heimisch. Sie geniessen es ganz offensichtlich, nun auch im Innenbereich die Wahl zwischen verschiedenen Baumtypen zu haben. Der Zoo Zürich hat damit einen weiteren nächsten Schritt in der Tierhaltung gewagt, in der Gestaltung naturnaher Lebensräume – ganz ähnlich wie in den 1990-ern mit der Bärenanlage und vor 20 Jahren mit dem Bau des Masoala Regenwaldes.

    Mit dieser neuen Haltungsform der Koalas geht ein gewisser Kontrollverlust einher und – wie immer, wenn man etwas Neues probiert, – ein gewisses Risiko. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich unser Konzept bewähren wird.

    Auch als Zoogast spürt man eine Veränderung. Unsere Besucher*innen müssen nun ein wenig genauer hinschauen, bis sie die Koalas entdecken. Hat man Maisy, Uki und Tarni aber endlich im Blick, ist die Freude umso grösser – versprochen!

    Zoodirektor Severin Dressen 2020 im Masoala Regenwald des Zoo Zürich.

    Zoodirektor Severin Dressen.

    Nebenstehender Text erschien erstmals im Rahmen der «Zoologisch»-Kolumne Severin Dressens im «SonntagsBlick-Magazin».