Ein Leben für den Schutz von Seiden-Sifakas und Roten Varis
Der Makira Naturpark, der Masoala Nationalpark und der Marojejy Nationalpark bilden zusammen das grösste zusammenhängende, intakte Regenwaldgebiet Madagaskars. Gelegen im Nordosten der Insel beherbergt es mehr als 50 Prozent der Artenvielfalt Madagaskars. Seit bald 30 Jahren engagiert sich der Zoo Zürich auf unterschiedliche Art und Weise für den Schutz dieses einzigartigen Ökosystems. Auch indem er den Ökologen Hasina Rabe bei seiner wichtigen Arbeit zum Schutz der bedrohten Lemuren unterstützt. Möglich ist dies durch das im vergangenen Jahr ins Leben gerufene Naturschutzbotschafter*innenprogramm des Zoos.
Mit gezielten Griffen zieht Hasina Rabe seinen Klettergurt fest. 15 Meter geht es für ihn gleich hinauf. Mitten hinein ins Kronendach des madagassischen Regenwalds im Makira Naturpark. Hier lebt eine Lemurenart, für die Hasinas Herz ganz besonders schlägt: der Seiden-Sifaka.
«Schon seit meiner Kindheit faszinieren mich Tiere und vor allem Lemuren. Nach der Schule habe ich dann Biologie studiert und mich zunehmend auch im Artenschutz engagiert. Mir wurde klar, wie wichtig Lemuren für das Ökosystem Wald sind. Mit meiner Arbeit bei der Naturschutzorganisation WCS Madagaskar habe ich dann den Seiden-Sifaka besser kennengelernt und das war der Moment als ich mich in die Art verliebt habe.»
(Hasina Rabe, Naturschutzbotschafter Zoo Zürich, Masoala Regenwald)
Es ist feucht und heiss, Temperaturen um die 30 Grad sind jetzt im November, dem madegassischen Sommer, keine Seltenheit. Im knöchelhohen Laub stehen neben Hasina zwei weitere Mitarbeiter der Naturschutzorganisation WCS, in dessen Auftrag das Team die Tiere erforscht und monitort. Nachdem sie ihm in den Klettergurt geholfen haben, sichern sie ihn beim Aufstieg in den Lebensraum der Primaten.
Der Aufstieg ins Kronendach des Regenwalds ist anstrengend und mühsam. Video: Zoo Zürich, Martin Bauert.
In diesem Gebiet im Nordosten der Insel ist die Lemurendichte besonders hoch. Nirgendwo sonst finden sich so viele verschiedene Arten. 17 sind es insgesamt. Um ihren Bestand langfristig zu sichern, braucht es genaue Kenntnisse über die Populationen, ihr Verhalten, ihre Entwicklung und ihre Art zu leben. Die letzte umfassende Bestandsaufnahme stammt von 2015 und schon damals war ein deutlicher Rückgang der Populationen beobachtet worden. Umso dringlicher sind neue Zahlen.
Besonderer Fokus auf vier Arten
Und genau die soll die Arbeit von Hasina und seinem Team liefern. Im Sommer 2024 hatte der Zoo Zürich zusammen mit dem Verein Freunde Masoalas und dem WCS Madagaskar ein Monitoring-Projekt ins Leben gerufen. Die vier grössten Lemuren-Arten Madagaskars wurden als Zielarten ausgewählt: Indri, Schwarz-weisser Vari, Roter Vari und Seiden-Sifaka. Vorkommen, Verbreitung und Lebensweise dieser vier soll in den kommenden fünf Jahren intensiv erfasst und erforscht werden. Die Erkenntnisse vermitteln ein umfassendes Bild und ermöglichen auch Rückschlüsse auf den Zustand aller anderen Lemurenarten.
Alle vier Zielarten sind vom Aussterben bedroht und kommen ausschliesslich auf Madagaskar vor. Damit gehören sie zu den 25 am stärksten bedrohten Lemurenarten der Welt.
Kleiner Eingriff, gravierende Wirkung
Die grösste Bedrohung für die Tiere ist der anhaltende Verlust von Lebensraum. Brandrodung ist auf Madagaskar, einem der ärmsten Länder der Welt, noch immer weit verbreitet. Und auch die Jagd auf Lemuren hat aus Auswirkungen. Für die Einheimischen ist das Fleisch eine willkommene Proteinquelle.
Auch wenn nur wenige Tiere tatsächlich gefangen werden, so ist der Einfluss auf die Gesamtpopulation gravierend. Aktuelle Schätzungen gehen beispielsweise beim Seiden-Sifaka von einem Bestand von weniger als 250 Tieren aus. Die Art vermehrt sich nur sehr langsam. Maximal ein Jungtier bringt ein Weibchen pro Jahr zu Welt. Jedes Tier weniger ist somit unmittelbar spürbar.
Seiden-Sifaka auf Madagaskar. Foto: Zoo Zürich, Martin Bauert.
«Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn es keine Lemuren mehr gäbe. Das wäre furchtbar. Nicht nur für mich persönlich, sondern auch für das Ökosystem. Die Lemuren übernehmen eine wichtige Funktion. Nicht nur sind sie abhängig vom Wald, der Wald ist auch abhängig von ihnen. Sie fressen die Früchte der verschiedensten Bäume, die teilweise zu ganz unterschiedlichen Jahreszeiten verfügbar sind. Daher bewegen sich die Tiere über weite Strecken durch den Wald. Mit ihren Ausscheidungen verteilen sie dabei die Samen und helfen mit, den Wald zu erneuern.»
(Hasina Rabe, Biologe, WCS Madagaskar)
Dieses Wissen treibt ihn an. Und so zieht sich Hasina mit letzter Kraft die verbleibenden Meter rauf ins Kronendach. Dorthin, wo die Kamerafalle am Stamm befestigt ist.
Hasina Rabe konnte die Kamera in der Baumkrone kontrollieren und seilt sich wieder ab. Foto: Zoo Zürich, Martin Bauert.
Unten am Boden warten gespannt seine beiden Helfer. Funktioniert die Kamera noch? Und hat sie Aufnahmen der Lemuren gemacht? Von unten ist Hasina kaum noch zu sehen. Das dichte Blätterdach verdeckt die Sicht. Doch bereits einige Minuten später ist ein Rascheln zu hören und das Seil, an dem Hasina gesichert ist, setzt sich wieder in Bewegung. Kurze Zeit später taucht auch seine Silhouette wieder auf. Erschöpft, aber lächelnd erreicht er schliesslich den Boden: Die Kamera ist intakt und die Aufnahme aktiv. Hasina konnte alle Einstellungen kontrollieren und den Chip tauschen. Diesen wird das Team später am Computer auslesen und die Daten auswerten.
Einzigartige Lebensweise
Nicht nur das Vorkommen und die Lebensweise interessieren den Ökologen. Im Rahmen des Projekts möchte er auch herausfinden, wie gut sich die Lemuren an veränderte Bedingungen und die zunehmende Nähe zum Menschen anpassen können. Insbesondere der Seiden-Sifaka pflegt eine Lebensweise, die auf ein grosses Territorium angewiesen ist.
Seine Hauptnahrung besteht aus Blättern und Früchten, die über das ganze Jahr verteilt zu jeweils anderen Jahreszeiten an unterschiedlichen Orten im Territorium verfügbar sind. Fällt durch Brandrodung ein Teil des Territoriums weg, fallen auch die Früchte, die dort wachsen, weg. Für eine gewisse Zeitspanne hat der Seiden-Sifaka keine Nahrung. Einfach ein neues Gebiet suchen, in dem die Früchte ebenfalls wachsen, ist oft nicht möglich, da durch die starke Begrenzung des Lebensraums meist alle geeigneten Gebiete bereits von anderen Seiden-Sifaka-Familien besetzt sind.
Hasina Rabe fasst zusammen, was er oben in der Baumkrone gemacht hat. Video: Zoo Zürich, Martin Bauert.
In der Natur hängt alles mit allem zusammen. Drehen wir an einer Stellschraube, kann das ganze System ins Wanken geraten. Der Seiden-Sifaka ist hierfür ein gutes Beispiel. Glücklicherweise ist die Natur aber auch in der Lage zu adaptieren. Wie gut und wie schnell, variiert. Für die Lemuren-Populationen Madagaskars könnte dies künftig eine das Überleben sichernde Frage sein und eine, die Hasina Rabe mit seiner Arbeit und durch die Unterstützung des Zoo Zürich versucht zu beantworten.
Roter Vari im Makira Naturpark. Foto: Martin Bauert.