Die Forschungsstation ist eröffnet!
Ab morgen ist sie endlich offen: unsere neue Forschungsstation im Zoo Zürich. Wir berichten, was ihr Zweck ist, und erklären an zwei konkreten Beispielen, wie Forschung im Zoo funktioniert.
Die wichtigste Ressource für erfolgreichen Natur- und Artenschutz ist Wissen. Aktuell ist der Zoo Zürich an über 70 Forschungskollaborationen beteiligt. Die neu eröffnete Forschungsstation gewährt Einblick in einen Teil dieser wissenschaftlichen Arbeit des Zoos. Sie zeigt auf, wie der Zoo Wissen für den Erhalt der Artenvielfalt generiert.
Video: Zoo Zürich, Samer Angelone, Nicole Schnyder
Die Forschungsstation ist ein weiterer wichtiger Meilenstein des Entwicklungsplans 2050 auf dem Weg zum Zoo der Zukunft.
Fürsorglicher Froschvater
Vorsichtig kämpft sich der kleine gelbe Frosch durchs tropische Unterholz. Er sucht eine Pfütze. Aber nicht irgendeine. Sie darf nicht zu klein sein und vor allem darf sie nicht austrocknen. Denn auf seinem Rücken transportiert er wertvolle Fracht: mehrere winzige Kaulquappen.
Es ist sein eigener Nachwuchs, den er derart fürsorglich betreut. Zuvor hatte das Froschmännchen bereits ausgeharrt und auf den Schlupf der Kaulquappen gewartet. Nun ist es an ihm, jedes Jungtier an einen geeigneten, dauerhaft mit Wasser gefüllten Ort zu bringen, wo der Nachwuchs die Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch durchlaufen kann.
Für eine Amphibienart ist die elterliche Fürsorge beim Goldenen Pfeilgiftfrosch ungewöhnlich stark ausgeprägt. Und die meiste Arbeit hat hier offensichtlich der Vater. Nur: Warum ist das so? Welche Bedingungen sind nötig, damit diese Form von Aufzucht stattfindet? Und was passiert, wenn das Männchen fehlt? Springt dann die Mutter ein?
Unter Beobachtung: In Forschungsraum 2 befasst sich der Zoo mit der Forschungsfrage, wie Pfeilgiftfrösche – hier der Goldene Pfeilgiftfrosch – ihre Brutpflege betreiben. Foto: Zoo Zürich, NIKON Nick Soland
Wissenslücken füllen
Tatsächlich gibt es einzelne Beobachtungen, die vermuten lassen, dass auch das Froschweibchen die Kaulquappen transportiert, wenn dies notwendig wird. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es beim Goldenen Pfeilgiftfrosch bisher aber nicht. Ein ähnliches Verhalten wurde nur bei wenigen anderen Pfeilgiftfroscharten untersucht.
Die Forschungsstation im Zoo soll neue Erkenntnisse dazu liefern. In Forschungsraum 2 wird sich der Zoo in Zusammenarbeit mit der Verhaltensbiologin Prof. Dr. Eva Ringler der Universität Bern unter anderem genau dieser Fragestellung widmen.
Karo mit Funktion: Ein Tierpfleger fotografiert einen Anchicayá-Baumsteiger. Anhand des Fotos kann das einzelne Tier dann genau identifiziert werden. Foto: Zoo Zürich, Samer Angelone
Damit aus Vermutungen und Beobachtungen wissenschaftlich basierte Fakten werden, braucht es eine exakt kontrollierbare Forschungsumgebung. Die sechs Räume der Forschungsstation funktionieren daher wie Klimakammern. So kann der Zoo darin beispielsweise den Jahresverlauf eines Habitats klimatisch präzise simulieren.
Natur exakt nachstellen
Möglich macht dies eine Hightech-Anlage im Hintergrund der Station. Jede einzelne Einstellung ist dabei immer exakt nachvollziehbar und dokumentiert.
Der Zoo simuliert die Natur also kontrolliert 1:1. Es kann davon ausgegangen werden, dass Tiere, die sich in einer solchen Umgebung bewegen, genauso verhalten wie sie es auch in der Natur tun würden.
Alle Augen auf die Brut(-pflege): Ein Tierpfleger hantiert mit einer Petrischale, die Laich des Goldenen Pfeilgiftfroschs enthält. Foto: Zoo Zürich, Samer Angelone
Wird in dieser Situation das Pfeilgiftfrosch-Männchen entnommen, ist sichergestellt, dass das gezeigte Verhalten des Weibchens einzig und allein eine Folge dieser Aktion ist. Alle anderen Faktoren, die die Reaktion des Weibchens beeinflussen könnten, sind kontrolliert und entsprechen den Bedingungen in der Natur. So lässt sich das Brutpflegeverhalten der Art genau beobachten und erforschen.
Um zufällige Reaktion des Weibchens auszuschliessen, wird die Beobachtungsstudie zudem an zahlreichen weiteren Froschpaaren wiederholt. Die Stichprobe ist also gross genug, um belastbare, wissenschaftlich fundierte Daten zu liefern.
Strikter Tag-Nacht-Rhythmus
Relevant ist das beispielsweise auch bei der Erforschung des vom Aussterben bedrohten Tafelberg-Baumsteigers. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist aufgrund von Lebensraumverlust extrem klein und geprägt von starken klimatischen Schwankungen. Die Zucht dieser Frosch-Art ist äusserst komplex. Es braucht nur wenig, dass diese nicht mehr gelingt.
Bei ihm muss alles muss stimmen: Der Tafelberg-Baumsteiger pflanzt sich nur unter ganz bestimmten Bedingungen fort. Foto: Citizen Conservation, Benny Trapp
Für eine erfolgreiche Vermehrung der Frösche braucht es einen exakten Tag-Nacht-Rhythmus mit einem Temperatursturz von 5–10 Grad Celsius während der Nacht, eine deutliche Schwankung der Luftfeuchtigkeit und ausreichend UV-Licht. Dies sind alles Parameter, die auch den natürlichen Lebensraum des Tieres stark prägen (einen Tafelberg im Amazonasbecken Venezuelas). Fehlen diese, kommt der Frosch nicht in Laichstimmung.
Auch wenn schon einiges bekannt ist: Der Idealzustand für eine erfolgreiche Zucht ist noch nicht wissenschaftlich evaluiert. Eine erfolgreiche Zucht aber ist der Schlüssel zu erfolgreichem Artenschutz. Denn darin besteht eine der Hauptaufgaben von Zoos: Sie erhalten Reservepopulationen gefährdeter Arten und nehmen so eine tragende Rolle im sogenannten One Plan Approach der Weltnaturschutzunion IUCN ein.
Sie steht in Forschungsraum 3 im Rampenlicht der Forscher*innen: die Rio-Pescado-Stummelfusskröte. Foto: Zoo Zürich, Samer Angelone
Vereint zum gleichen Ziel
Der One Plan Approach beschreibt Artenschutz als eine gesamtheitliche Aufgabe. Sie wird gemeinschaftlich durch die Zusammenarbeit aller am Schutz einer Art mitwirkenden Institutionen und Personen bewältigt. Das schliesst nicht nur Zoos ein, sondern auch Schutzgebiete wie zum Beispiel Nationalparks.
Dieser Ansatz lässt sich gut am Lehmanns Baumsteiger erklären. Auch diese Pfeilgiftfroschart wird in die Forschungsstation einziehen. In der Natur ist sie vom Aussterben bedroht, resp. mancherorts bereits ausgerottet. In Kolumbien konnten im Rahmen des Naturschutzprojekts Amphibian Survival des Zoo Zürich bis heute aber bereits 117 Lehmanns Baumsteiger erfolgreich ausgewildert werden.
Das Blaubeinige Buntfröschchen gehört zu den Akteuren in Forschungsraum 1. Foto: Zoo Zürich, Nick Soland
Zusammenarbeit macht's möglich
Das ist möglich, weil der Zoo die Zucht der Art im Zoo Cali unterstützt und in engem Austausch mit den Expert*innen vor Ort steht. Es ist möglich, weil der Zoo mithilft, den Erhalt des Lebensraums des Frosches zu sichern. Und es ist zudem möglich, weil der Zoo künftig die Erforschung der idealen Zuchtbedingungen der Art weiter optimieren und dokumentieren wird.
Andere Zoos sowie Privatpersonen können das gesammelte Wissen nutzen und sich ebenfalls an der Reservepopulation beteiligen. Und der Zoo Cali kann die Frösche besser und effektiver züchten und so noch mehr Tiere im Regenwald Kolumbiens wiederansiedeln.
Er ist in einem der Lebensräume gegenüber der Forschungsräume anzutreffen: der Liszt-Affe. Foto: Zoo Zürich, NIKON Nick Soland
Die Forschungsstation gibt Einblick in all diese Tätigkeiten. Sie vereint die vier Hauptaufgaben eines modernen Zoos an einem Ort: Artenschutz, Naturschutz, Forschung und Bildung. In der Forschungsstation erforscht der Zoo aber nicht nur Frösche, sondern auch Ameisen, Fische und Wirbellose. Gerade bei diesen Tierarten gibt es noch sehr viele Wissenslücken.
Der Besatz der Forschungsräume ist daher auch nicht abschliessend. Es kommen neue Arten hinzu, Fragenstellungen werden sich ändern und auch die Kollaborationen mit renommierten Forschungsinstitutionen wie der Uni Zürich, der ETH Zürich, der Vetsuisse und vielen mehr wechseln.
Der Zoo verfolgt dabei jedoch immer ein konkretes Ziel: Wir forschen, um Tierarten zu schützen, Natur zu erhalten und Wissen zu vertiefen – im Zoo und bei unseren Gästen.
Und auch sie sind dort zu Hause: die Goldgeben Löwenäffchen. Foto: Zoo Zürich, Nick Soland