Bedeutender Fund im Makira-Naturpark
Eine vom Zoo Zürich mitfinanzierte Expedition einer jungen Forscherin der Universität Zürich hat im Makira-Naturpark auf Madagaskar unter abenteuerlichen Bedingungen mehrere bedeutende Funde gemacht. So konnte sie unter anderem das Vorkommen einer vom Aussterben bedrohten Schlangenart nachweisen. Erkenntnisse wie diese sind wichtige Anhaltspunkte für Artenschutzmassnahmen vor Ort.
Die Räder der Motorräder versinken knöcheltief im Matsch. Ein Vorwärtskommen ist kaum noch möglich. Schieben, Zerren, Gas geben – die Fahrer probieren alles, um die Zweiräder wieder in Bewegung zu setzen.
Wissen als Grundlage von Artenschutz
Auf einem der Motorräder sitzt die Biologin Kathleen Webster von der Universität Zürich. Zurzeit herrscht Trockenzeit auf der afrikanischen Insel Madagaskar. Matschig ist es trotzdem.
Ziel der Forscherin und ihrer fünf Kollegen aus der Schweiz, Kroatien, der Slowakei und Madagaskar ist ein bisher kaum erforschter Bereich des Makira-Naturparks, welcher zusammen mit dem Masoala-Nationalpark einen der weltweit bedeutendsten Hotspots der Artenvielfalt beherbergt.
Kathleen Webster zusammen mit ihrem ebenfalls an der Universität Zürich forschenden Kollegen Oliver Hawlitschek im Regenwald des Makira-Naturparks. Vor ihnen läuft ein weibliches Parsons Chamäleon (Calumma parsonii cristifer). Die Art gilt – gemessen am Gewicht – als grösste Chamäleonart weltweit und ist gefährdet. Foto: Institute for Adriatic Crops and Karst Reclamation, Ivan Limić.
Amphibien und Reptilien im Blick
Im Rahmen der Expedition ist Webster für die herpetologische Untersuchung zuständig, also das Dokumentieren und Bestimmen der entdeckten Amphibien und Reptilien.
Zusammen mit seinem langjährigen Naturschutzpartner WCS Madagaskar hat der Zoo Zürich der jungen Forscherin die Teilnahme an der Reise ermöglicht. Er unterstützt die Forschung vor Ort im Rahmen seines Naturschutzprojekts Masoala. Denn Artenschutz kann nur erfolgreich sein, wenn er auf einer umfangreichen Wissensgrundlage beruht. Um diese zu schaffen, braucht es eine internationale Zusammenarbeit – Wissenschaft ist Teamwork.
Der Makira Naturpark gehört zu den abgelegensten Gebieten Madagaskars. Kaum irgendwo sonst ist der Regenwald noch so unberührt wie dort.
Ein Hauch von Indiana Jones
Doch bevor die Erforschung neuer und bekannter Arten beginnen kann, gilt es das Ziel zu erreichen. Vier Tage dauert die Reise in den Urwald insgesamt. Gestartet war das Forschungsteam in Madagaskars Hauptstadt Antananarivo. Von dort ging es zunächst per Flugzeug in den Küstenort Sambava und dann weiter mit dem Geländewagen nach Andapa. Hier enden die für Autos befahrbaren Strassen. Makira gehört zu den abgelegensten Regionen Madagaskars.
Ein Weiterkommen ist nur noch mit geländetauglichen Motorrädern und Unterstützung der lokalen Bevölkerung möglich. Zumindest meistens. Denn obwohl die Fahrer mit den Schwierigkeiten des Geländes vertraut sind, heisst es immer wieder schieben, zerren, hoffen.
Anreise in den Makira Naturpark
Video: Universität Zürich, Kathleen Webster/ Zoo Zürich, Lea Pfaller.
Nach stundenlanger Fahrt durch die ländliche, dünn besiedelte Sava-Region und unterbrochen von zahlreichen Stopps, erreicht der Trupp schliesslich das Dorf Soamiangona, welches bereits im Makira Naturpark liegt.
Abenteuer statt weissem Laborkittel
Vor der Gruppe liegt nun noch ein letzter, 13 Kilometer langer Fussmarsch – angeführt und unterstützt von lokalen Guides. Beladen mit schweren Rucksäcken und Proviant kämpft sich die Expedition vorwärts. Es geht durch Flüsse und Bäche und dichtes Buschwerk – immer tiefer hinein in den Regenwald mit seinen mächtigen Baumriesen.
Am Fluss Manandriana errichtet das Forschungsteam schliesslich ihr temporäres Camp. Einfache Zelte, eine Feuerstelle zum Kochen, eine simple Holzkonstruktion als Tisch für gemeinsame Mahlzeiten und die allabendlichen Aufzeichnungen der Beobachtungen – aus viel mehr besteht das Camp nicht.
Die kommenden neun Tage und Nächte wird die Gruppe hier verbringen, weit abseits der Zivilisation und ohne jeglichen Komfort. Unter dem Kronendach ist es auch tagsüber dämmrig, weswegen die Guides eine Station mit Solarzellen auf einer Kiesbank errichten. Wer seine Kamera und sein GPS aufladen will, muss jedes Mal den Fluss durchwaten. Und selbst in der Trockensaison fällt täglich Regen. Entsprechend feucht ist die Luft. Kleidung und Schuhe werden bis zur Rückkehr aus dem Regenwald nie mehr ganz trocken sein.
Forschung unter solchen Bedingungen ist kräftezerrend und herausfordernd. Gearbeitet wird zudem Tag und Nacht, denn viele Tiere sind nacht- oder dämmerungsaktiv und können erst dann beobachtet und erforscht werden. Für Webster und auch ihre Kollegen – deren Fokus auf Insekten, vor allem Heuschrecken, Grillen und Stabschrecken liegt – haben sich die Strapazen jedoch ausgezahlt.
Forschungsarbeiten im Makira Naturpark
Video: Universität Zürich, Kathleen Webster/Zoo Zürich, Lea Pfaller
| Naturschutzprojekt Masoala Der Makira-Naturpark, der Masoala Nationalpark und die Bucht von Antongil beherbergen nicht nur eines der grössten zusammenhängenden und intakten Regenwaldgebiete Madagaskars, sondern auch eine immense und weltweit einzigartige Artenvielfalt. Bereits seit 1995 engagiert sich der Zoo Zürich in seinem Naturschutzprojekt Masoala für den Schutz und Erhalt dieser für die Biodiversität wertvollen Region. Unterstützt werden Massnahmen des integrierten Naturschutzes. Diese kommen nicht nur den Tieren, Pflanzen, dem Ökosystem und Lebensraum zugute, sondern beziehen auch die lokale Bevölkerung mit ein. Zudem fördert der Zoo Forschung vor Ort. |
Zahlreiche bedeutsame Entdeckungen
Über 80 Sichtungen von mindestens 30 verschiedenen Reptilien- und Amphibienarten kann Webster während ihres Aufenthalts dokumentieren. Mindestens fünf der entdeckten Arten gelten als bedroht und stehen bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.
Bei neun weiteren ist bislang unklar, um welche Art es sich handelt – einerseits herausfordernd für die Forscherin, andererseits äusserst spannend, denn es könnte sich auch um Arten handeln, die für die Wissenschaft noch gänzlich neu sind. Die Daten und Fotos liegen derzeit bei verschiedenen Spezialisten zur Identifizierung.
Zudem konnte Webster acht Arten dokumentieren, deren Vorkommen im Makira Naturpark bisher unbekannt war. So auch das von Compsophis vinckei, einer vom Aussterben bedrohten Schlangenart aus der Familie der Madagaskar-Trugnattern.
Bisher war nicht bekannt, dass die vom Aussterben bedrohte Art Compsophis vinckei auch im Makira-Naturpark vorkommt. Foto: Universität Zürich, Kathleen Webster.
Bisher unbekanntes Vorkommen
Zwei Exemplare der seltenen und scheuen Schlange konnte die Forscherin aufspüren. Es ist ein bedeutender Fund, denn über diese Art ist bisher kaum etwas bekannt. Bisher wurde vermutet, dass ihr Verbreitungsgebiet nur knapp 61 Quadratkilometer umfasst und sich über 400 km weiter südlich auf der Insel befindet. Auch sind die Exemplare aus Makira mit 47 cm und 60 cm mehr als doppelt so gross wie alle zuvor bekannten.
Auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN ist die Schlange als vom Aussterben bedroht gelistet. Die Funde im Makira-Naturpark sind daher ein weiterer wichtiger Puzzlestein zur Erforschung und zum Schutz der Art.
Wissenslücken schliessen
Die gesammelten Daten aller beteiligten Forschenden werden WCS Madagaskar und der Universität von Antananarivo zur Verfügung gestellt und helfen so, bestehende Wissenslücken zur madegassischen Artenvielfalt zu schliessen. Vor allem die Regenzeit ist gut dokumentiert, Daten zur Trockenzeit existieren bislang erst wenige.
Für gezielten und wirksamen Artenschutz ist es jedoch wichtig, das Verhalten und Vorkommen von Arten während des gesamten Jahres zu kennen. Welche Art hält sich wann wo auf? Wo, wie und wann pflanzt sie sich fort? Welche Bedürfnisse gilt es jeweils zu berücksichtigen? Diese und viele weitere Fakten tragen dazu bei, Schutzmassnahmen gezielt anzuwenden und Arten zu erhalten.
Mantidactylus radaka gehört zu den grössten Froscharten in Madagaskar. Im Norden Madagaskars gilt er als Delikatesse, weshalb er bejagt wird. Foto: Universität Zürich, Kathleen Webster.
Zwar ist der Makira-Naturpark ein Schutzgebiet und die Natur weitgehend unberührt. Völlig frei von menschlichen Einflüssen sind aber selbst solche abgelegenen Gebiete nicht. So stiessen die Forschenden auf ihren täglichen Exkursionen auch auf Flächen, auf denen illegaler Holzschlag stattgefunden hatte.
Je mehr Wissen vorhanden ist und je gezielter Schutzmassnahmen greifen können, desto grösser die Chance, dass seltene und bedrohte Arten wie Compsophis vinckei auch in Zukunft im Makira-Naturpark einen sicheren Rückzugsort finden.
Ein Stück unberührte Natur: Einblick in den Regenwald des Makira-Naturparks auf Madagaskar. Foto: Universität Zürich, Kathleen Webster.